Initiative für
Wissenschaftliche Medizin

Edmund Berndt: Homöopathie antifaktisch und social-proof

Vom 17. bis 19.11. wird in Wien der 1. Europäische Homöopathie-Kongress unter dem Motto "Individualisierte Medizin für jedes Alter" abgehalten.

Darüber wird in diversen Zeitungen etwas berichtet werden. Generell wird Werbe- u. Infomaterial über Homöopathie von geschäftlich interessierten Kreisen über einschlägige Agenturen mehr als genug versandt und ins Internet gestellt. Die Werbe- u. Lobbyarbeit für Homöopathie läuft über  Agenturen, die Aktionen für die Homöopathie sowie ärztliche Homöopathiegesellschaften und Homöopathievereine betreuen.  Die öffentlichen Informationen in den Publikumsmedien sind entsprechend gefärbt und bestehen aus herzigen bis nostalgisch-romantischen Aufwärmübungen. Diese „informativen“ Agenturmeldungen schlagen sich, wie man beobachten kann, in den Zeitungen nieder. Es gibt auch praktisch keine kritische Literatur. Unzählige „Ratgeber“ in Form von Büchern und Broschüren füllen die Gesundheitsecken in  Kiosken und Buchhandlungen. Die öffentlichkeit wird kommentarlos mit den Lehrsätzen von Hahnemann beglückt. Kritik gibt es praktisch nicht.

Dieses Copy&Paste zeigt Wirkung. Das Image der Homöopathie fällt ja nicht vom Himmel. Es wird zum x-ten Male Simileprinzip und Potenzieren dargelegt und die hochgelobten Eigenschaften der Homöopathie wie sanft, nebenwirkungsfrei, chemiefrei, ganzheitlich, jetzt auch noch individualisiert und dergleichen mehr beschworen. Selbstverständlich wird wieder von Arbeiten und Forschern berichtet werden, die zweifelsfrei und naturwissenschaftlich fundiert die kausale Wirksamkeit der Homöopathie belegen könnten.

Nur die Sache hat einen Haken, der nicht in Presseaussendungen und den Kopien daraus zu lesen ist. Alles das ist faktenfrei. Fakt ist, dass seit 1835, dem legendären Nürnberger Kochsalzversuch, alle Beweisversuche nur eines bewiesen haben, dass die Homöopathie nicht ursächlich kausal auf Grund stofflicher chemisch physikalischer Eigenschaften wirkt. Seit 1835 sind Homöopathen bzw. die Homöopathie entwicklungs- und faktenresistent.

Homöopathie ist aber heute mehr denn je gesellschaftsfähig. Sie anzuwenden und zu propagieren gehört zum guten Ton. Das nennt sich heute social-proof. In diesem Jahr wurde im Forum Alpbach über Aufklärung „Neu“ diskutiert. Passend dazu gab und gibt es Diskussionen, dass wir in einer postfaktischen Zeit leben. Das heißt, dass zunehmend nicht nach realen nachprüfbaren Fakten sondern nach Launen und Stimmungen entschieden wird. Wer so handelt, entscheidet im Sinne eines Postfaktizismus logisch.

Aber im Fall Homöopathie ist mehr passiert. Es scheint, dass sich der Aberglaube vor der Aufklärung besonders gut in der Medizin verstecken und überdauern konnte und sich anschickt, und das mit Erfolg, in die Zivilisation zurück zu kehren. Homöopathische Denke ist überall. Nichts bleibt verschont. Vom Kuhstall bis zu Kreißsaal, vom Wald bis zum Weltmeer gibt es nichts, dass man nicht homöopathisch behandeln und heilen könnte. Das muss alles ganz wunderbar sein, denn namhafte Homöopathen mokieren sich darüber nicht.

Seit den Zeiten Hahnemanns hat sich aber das gesicherte und erprobte Wissen ungeheuer weiterentwickelt. Wir wissen heute unvergleichlich mehr als jemals zuvor auf allen Gebieten der Naturwissenschaften. Wie Lebewesen leben und was dabei passiert war zu Zeiten Hahnemanns völlig ungeklärt und ein Geheimnis religiöser Natur. Das Leben wurde mit Lebens- und Heilkräften erklärt. Medizin und Religion waren noch eng verbunden. Die Menschen fühlten sich der Gnade Gottes und dem Wohlwollen von Geistern und Heiligen nicht ausgeliefert, sondern sie „wussten“ es. Das war gängige Meinung, damals eben social-proof. Fakten, naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die der Lehre Hahnemanns diametral entgegenstehen, wie z.B. der molekulare bzw. atomare Aufbau der Materie zeichneten sich schon ab, aber sie waren noch nicht Allgemeingut. Gemessen am aktuellen Wissen über Natur und Leben heute agierten die Homöopathen zu Zeiten Hahnemanns eigentlich präfaktisch.

Hahnemann entwickelte ein Dogma und Dogmen lassen keinerlei Weiterentwicklung zu. Nichts von dem, was Hahnemann postulierte, wurde je hinterfragt, aufgegeben oder gar widerrufen. Die Lehre, die Grundannahmen der Homöopathie blieben unverändert. Postfaktisch hingegen könnten die Homöopathen nur dann agieren, wenn die Homöopathie entsprechend den neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen weiterentwickelt worden wäre und diese Veränderungen dann wieder als Entscheidungsgrundlage negiert werden.

Jetzt tagen im 21. Jahrhundert bekannte und unbekannte Größen der Homöopathie und befriedigen sich, wie schon seit 200 Jahren an und mit den Dogmen des Gründers Hahnemann. Ein seit 200 Jahren unfruchtbares Verhalten. Alles, was wir heute über Leben wissen, also unser gesamtes Wissen in Biologie und Medizin im Besonderen verdanken wir den modernen aufgeklärten Naturwissenschaften. Der Beitrag der Homöopathie dazu ist null.

Die Homöopathen sind aber keine bildungsferne Gemeinschaft. Es handelt sich in aller Regel um voll ausgebildete Akademiker, denen die Grundlagen der Naturwissenschaften beigebracht worden sind. Daher kann man, so hart es auch klingt, feststellen, dass die Homöopathen antifaktisch agieren. Antifaktisch deshalb, weil sie eben alle Fakten, die gegen die Homöopathie sprechen schlichtweg ausklammern. Diesem Antifaktizismus, der in jedem Dogma steckt, ist es zu verdanken, dass die Homöopathie auch nach 200 Jahren nicht von den Fakten der aufgeklärten Naturwissenschaften erreicht und verändert werden kann. Mit ausgefuchster Intelligenz werden alle Erkenntnisse seit Hahnemann abgewehrt, kleingeredet oder schlicht und einfach negiert.

Paul Watzlawick prägte für diese Situation den Begriff der „philosophischen Wespenfalle“ und Robert Musil sprach von „höherer Dummheit“. Für Watzlawick sind Dogmen elegante Denkfallen Und wer in diesen Gedankenkäfig in diese philosophische Wespenfalle hineinfliegt, schwirrt im Kreis und findet keinen Ausgang mehr. Und Robert Musil erklärt mit „höherer Dummheit“, was in dieser philosophischen Wespenfalle passiert. Er sagt, dass normalerweise der Verstand das Gemüt beherrscht, aber im Falle der „höheren Dummheit“ beherrscht ein aus dem Normbereich verrücktes Gemüt den Verstand und arbeitet dem Gemüt zu. Die Verrückung ist Glaube an das Dogma, dass Homöopathie wirkt und das wird auch mit aller Intelligenz und überdurchschnittlichem Denkleistungsvermögen bis zum äußersten verteidigt. Dagegen anzugehen bedeutet Sisyphusarbeit, mit der auch ein Herkules der Wissenschaft nicht fertig wird.

Pseudowissenschaften sind wie Scheuklappen. Man sieht nichts mehr rundherum sondern nur mehr die Fata Morgana einer sanften, natürlichen, nebenwirkungsfreien, biologischen Heilung. Nur das Paradies kann noch besser sein. Man könnte an den Gebäuden der medizinischen und pharmazeutischen Institute Gedenktafeln für die dem Aberglauben Anheimgefallen aufstellen. Sie alle wurden vergebens gebildet und die verschwendeten Mittel gehen in die Milliarden. Nur es sind so viele mittlerweile dem Aberglauben Homöopathie verfallen , dass zu wenig Platz dafür ist.

Homöopathie ist schlichtweg antifaktisch und das passt auch in die Nostalgie von den guten alten Zeiten. Da war alles noch sanft, biologisch und natürlich. Die Menschen lebten glücklich, zufrieden und gesund. Und wenn sie sich nur gemäß dem alten Wissen verhalten und behandelt hätten, lebten sie noch heute. Fortschritt macht doch krank? Und davon werden uns die Homöopathen noch heilen. Und sie irren nie. Dazu darf ich den Naturforscher und Philosoph Jean-Jacques Rousseau zitieren: „Das einzige Mittel, den Irrtum zu vermeiden, ist die Unwissenheit.“ Und wie es scheint ist das Erlernen von Unwissenheit schon auf dem Lehrplan und es ist mehr als zu befürchten dass die Zunft der Energetiker auch noch Universitätsausbildung bekommt. Der Magister oder die Magistra der Energetik stehen mit einem Doktor in Homöopathie faktisch auf einer Stufe.

Dr. phil. Mag. pharm. Edmund Berndt